Bibo Runge, Hallgarten & Joern Goziewski, Geisenheim

VON ZWEI DIE AUSZOGEN WINZER ZU WERDEN 

Tradition wird groß geschrieben im Rheingau. Wein keltern hier Winzer, die sich Barone oder Grafen nennen. Daneben die, die man seit dem 19. Jahrhundert zum Bürgertum zählt. Sicher, in den Kellern der Alteingesessenen arbeiten häufig junge Kellermeister, die aus den Weinbaufamilien stammen, internationale Erfahrung gesammelt haben und keinesfalls altmodische Weine machen. Alteingesessen sind sie aber eben meistens doch. 


Einer, der da nicht reinpassen will, ist Markus Bonsels mit seinem Weingut Bibo Runge. Bonsels steht in seinem Hof und spritzt mit einem Schlauch Beeren in einen kleinen Ausguss. Es ist Anfang Oktober und es nieselt. Die Basis ist im Keller, die guten Sachen hängen noch draußen und würden gerne recht bald - ohne Regen - gelesen werden. Bonsels hat deswegen Zeit und redet gern. 2017 nahm er das Ruder im Weingut Bibo Runge in die Hand. Nur wenige Jahre zuvor hatten zwei "Oldies" mit Start-Up-Mentalität das Weingut in Hallgarten im vorderen Rheingau gegründet. 2014 war der erste Jahrgang von Kai Runge und Walter Bibo. Bibo würde auch gut als Alteingesessener durchgehen. Studium in Geisenheim, Önologe bei Joachim Heger am Kaiserstuhl und zuletzt über 10 Jahre lang Betriebsleiter im Schloss Reinhartshausen. Nachdem Runge das Projekt recht schnell wieder verlassen wollte, kam Bonsels ist Spiel. Der Rheinländer hatte gerade seinen wohl nicht schlecht dotierten Job als Human Resources Director bei Amazon Europe gekündigt und ein Studium der Oenologie abgeschlossen. Bonsels, Jahrgang 1967 und damit nicht in einem Alter, in dem man noch einen Studienabschluss hinlegt, kaufte das Weingut. Runge stieg aus, Bibo blieb. Erst noch als Kellermeister und Mentor, später dann als Berater und Erfahrungsschatz auf Abruf.

Bibo hatte einen stilistischen Grundstein gelegt, der Bonsels begeisterte. Denn seine Weine schmeckten immer etwas anders, als der klassische Rheingauer. An der Weinbau-Hochschule in Geisenheim kursierte mal der Witz: Wo Rheingau drauf steht, ist auch 40 % Botrytis drin. Bibo wie Bonsels setzen auf 100 % Handlese und gesunde Trauben. Das ist notwendig für den Stil, den ersterer etablierte und letzterer fortführen will. Denn alle Weine stehen vor dem Pressen einige Zeit auf der Maische. Und die straft jede faule Beere gnadenlos mit Mufftönen ab! Bibo sagte mal, dass die meisten Weißweine entweder zu viel oder zu wenig Gerbstoff haben, was sie entweder langweilig oder anstrengend macht. Das Spitzensegment lässt Bonsels bis zu 48 Stunden auf der Maische. Jeder Professor habe ihn davor gewarnt, erzählt er und schmunzelt dabei verschmitzt. Anschließend wandert die Maische auf die Presse. Während sich die Branche gerade auf pneumatische Pressen stürzt, die Lesegut schonend mit einem überdimensionierten Luftballon entsaften, entschied sich Bibo eine Korbpresse anzuschaffen. Was nach einem technischen Detail klingt, wird zur Stilfrage. Denn in einer Korbpresse läuft der Most durch außenliegende Saftkanäle ab, während eine pneumatische Presse die Trauben vor Oxidation schützt.

Joern Goziewski

Auf Bonsels Presse sei er neidisch, erzählt Joern Goziewski. Joern hat ebenfalls kürzlich ein Weingut im Rheingau gegründet, hat sich ebenfalls dem Riesling verschrieben und ist als Thüringer ebenfalls ein Zugezogener. Er ist gut 20 Jahre jünger als Bonsels und hat seinem Weingut seinen Vornamen gegeben. Goziewski klang wohl zu sperrig. Deswegen nennt man Joern auch am besten Joern. Im Weingut Joern ist alles anders als bei Bibo Runge. Hier gären die Weine im uralten Keller von Schloss Kosakenberg in Geisenheim vor sich hin. Joern ist anpassungsfähig und zeigt Fingerspitzengefühl. Nach seiner Haltung zu Ganztraubenanteil bei Pinot Noir gefragt, erzählt er fast schon stolz von seinem Entrapper, der nicht mehr so ganz rund läuft und auch mal das ein oder andere Stielgerüst passieren lässt. Ansonsten hätte er sowieso noch ein paar Kilo Ganztrauben beigegeben, antwortet er nüchtern. Joern hat ohne Finanzspritze angefangen. Sein vorheriger Arbeitgeber war das familiengeführte Weingut Ankermühle im Rheingau.

 

Joern liebt die nördliche Rhone

Ähnlich wie Walter Bibo schuf er einen Riesling-Stil abseits vom Rheingauer Mainstream, hat er doch im eigenen Weingut alle önologischen Freiheiten. Und er nutzt sie! Wie für Bibo und Bonsels sind auch für Joern Struktur und Gerbstoff essentiell. Während Rieslinge von Bibo Runge zuerst Tage mit der Maische in Kontakt stehen, bis sie gepresst werden, geht Joern noch einen Schritt weiter. Er vergärt seinen Wein komplett auf der Maische. Teilweise landet dieser erst nach mehreren Monaten auf einer Presse. Joern liebt die Rhône. Die nördliche genau genommen. Und so schmecken seine Weine auch. Neben ein wenig Pinot Noir keltert er zum größten Teil Riesling. Den sucht man im Rhône-Tal zwar vergeblich, doch wenn er von sensorischer Süße des Ethanols, Schmelz und Orangenschale spricht, kann man die Condrieu-Analogie nachvollziehen. Sofern der Jahrgang es hergibt, scheut Joern keine hohen Mostgewichte. Im Fass liegt derzeit zum Beispiel ein mit 117° Oechsle gelesener Riesling aus dem Schlossberg. Aus hohen Mostgewichten resultiert viel Alkohol, was seine Weine wiederum mit dem Vorbild aus Condrieu gemeinsam haben. Weißweine mit 14,5% Alkohol sind bei Joern und an der Rhône keine Seltenheit. Wobei sich auch Alkoholärmeres in seinem Portfolio findet.

Echte Vorbilder für seine Weine habe er nicht, erklärt Markus Bonsels. Eher versuche er Spannendes aus verschiedenen Ecken zusammenzutragen, um seinen eigenen Weg zu finden. Wenn auch nicht so konsequent und drastisch wie Joern. Der Ausbau im Holz ist ihm wichtig. Da das Weingut die letzten Jahre stetig wuchs, findet sich immer mal wieder ein Holzfass in Erst- oder Zweitbelegung im Keller. Die Weine durchlaufen in der Regel den Biologischen Säureabbau, wie es im Burgund verbreitet ist. Nicht ganz ins Burgund passt die exotische Restfrucht, die die Rebsorte Riesling mitbringt. Und das ist auch gut so! Denn Bonsels geht es nicht darum, den Riesling zu verstecken oder den Rheingau zu leugnen. Sein Einstiegssegment ist vom klassischen Rheingau Riesling gar nicht weit entfernt. Und doch will er keine Weine machen, die sich auf den Ruf der Region verlassen müssen. Rheingau als Markenname sei tauglich in Süddeutschland. Im Norden oder gar im Ausland löse sich die Bedeutung dann recht schnell auf. Deswegen tragen die Weine auch keine Lagennamen, womit schon kurz hinter Wiesbaden niemand mehr etwas anfangen kann, sondern heißen Revoluzzer oder Romantiker. Und so romantisch das alles klingt, kann Bonsels doch nicht verhehlen, dass seine Weine ein Stück weit aus Marktperspektive gedacht sind; die Optik der Etiketten sei wichtig.

Joern wirkt nicht, als kümmere ihn der Markt. Nach der Gärung auf der Maische füllt Joern seine Weine in Holzfässer. Neue wohlgemerkt! Hier verweilen sie dann 3 bis 4 Jahre, werden spundvoll gehalten und dann unfiltriert gefüllt. Viele Winzer, die mit neuem Holz arbeiten, bekämen zum falschen Zeitpunkt Angst vor ihrem eigenen Fass, erzählt Joern und malt mit dem Finger eine Sinuskurve in die Luft. Wenn man sich traue, den ersten Hochpunkt abzuwarten, rückten Tannin und Röstaromen wieder in den Hintergrund. Und in der Tat: Zwar sind Joerns Weine nicht grazil, eher wuchtig, doch wenn man weiß, was er im Keller alles macht, wundert man sich, dass sie nicht noch viel fetter sind. Weder der Alkohol noch das Holz wirken aufgesetzt, stets bilden Säure und Cremigkeit einen Gegenpol.

Liest man Markus Bonsels Vita, scheint der Fall klar zu sein. In der Wirtschaft Geld verdient und nun wohlhabend genug, um ein Weingut zu kaufen. Einen Kellermeister einstellen, die schönen Seiten der Weinbauidylle genießen und langsam in den Ruhestand gleiten. Doch wenn er gerne Investor wäre, hätte er seinen Job behalten und nicht Önologie studiert, macht Bonsels klar und wirkt ein bisschen so als hätte er das schon öfter klarmachen müssen. Mittlerweile bezeichne er sich als Winzer, wenn andere fragen, was er denn beruflich mache. So unterschiedlich sind Joern und Bonsels dann vielleicht doch nicht. Beide scheinen zu glühen für das, was sie tun. Beide keltern Riesling, abseits des Mainstreams. Beide sind Newcomer im altehrwürdigen Rheingau. Beide erzählen fast die gleiche Geschichte über ihre Rebflächen. Von alten Männern, die ihre Weinberge lieber brach liegen lassen, als sie jemandem zu geben, der damit Unfug anstellt. Markus Bonsels kann punkten, wenn er glaubwürdig vermittelt, von diesen Weinbergen Rheingauer Spitzenrieslinge in die ganze Welt zu verkaufen. Joern klingt frustrierter, wenn er von Rebflächen erzählt, die er nicht bekommt. Riesling, der anders schmeckt, milchig-trüb oder dunkelgelb im Glas steht und am Ende auch noch als Landwein vermarktet wird? Das sei im Ü-60-Millieu der Rheingauer Landwirtschaft oft nicht leicht verständlich zu machen.

Und, besonders wichtig, beide haben dem Stillstand den Kampf angesagt. Beide wollen vom Fleck kommen. Bei Bonsels liegt das auf der Hand. Vom Manager zum Winzer, das macht niemand der die Komfortzone sucht. Es sei immerhin schon das dritte Jahr in dem er das mache, sagt er. Dass das nicht zwangsläufig eine lange Zeit ist, scheint ihm gar nicht erst in den Sinn zu kommen. Doch Bonsels ist Maximalist und voll drin in seinem neuen Beruf. Joerns Rebellion findet man in seinen Weinen. Weinbau in Thüringen ist sein aktuelles Projekt. Vom Cabinet-Keller urklassischer Rheingauer Schule, wo die besten Weine jahrelang in Fässern lagerten, träumt er außerdem. Fast schon bescheiden klingt sein Wunsch nach 8 bis 10 Hektar eigener Rebfläche, um entspannt davon leben zu können. Einen hat er schon. Immerhin.

Unter die alteingesessenen Rheingauer Winzer gesellen sich seit einigen Jahre. immer mehr Quereinsteiger. Wenn im Februar auf Kloster Eberbach wieder Weine versteigert werden, spielen die diese Newcomer keine Rolle. Die Bühne gehört denen, die Weingüter erben und vererben. Schön, dass es beides gibt im Rheingau. Die Traditionalisten und die Revoluzzer. 

© 2020 Paul Kern/Mondo Heidelberg

 

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